Aus Österreich haben sich drei Mitglieder des Europäischen Parlaments der Disability Intergroup angeschlossen. Der KOBV Österreich hat sie zu Ihrer Behindertenpolitik in der EU interviewt.
Das Interview führte Mag.a Viktoria Antrey in schriftlicher Form am 4. April 2025
Herr Vilimsky, Sie haben sich 2024 freiwillig der Disability Intergroup im EU-Parlament angeschlossen – warum haben Sie sich für diesen Schritt entschieden?

Vilimsky: Weil ich der Meinung bin, dass es wichtig ist, sich mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln für Menschen mit Behinderung einzusetzen und dass der Austausch und die Diskussion über die verschiedenen damit einhergehenden Themen wertvoll und notwendig sind.
War es eine persönliche Entscheidung oder ein strategischer Schritt der FPÖ, um in der Behindertenpolitik auf EU-Ebene sichtbarer zu werden und mehr eigene Akzente einzubringen?
Vilimsky: Selbstverständlich war es eine persönliche Entscheidung, der Disability Intergroup beizutreten. Es ist mir aber natürlich auch auf politischer Ebene ein Anliegen, dafür zu sorgen, dass die Entscheidungshoheit über wichtige Bereiche wie die Sozial- und Gesundheitspolitik in Österreich bleibt.
Hat das zuletzt verstärkte Engagement der FPÖ in der Behindertenpolitik auf nationaler Ebene Ihre Entscheidung beeinflusst?
Vilimsky: Die FPÖ bemüht sich schon seit geraumer Zeit darum, sich aktiv und zielgerichtet für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einzusetzen – ich bin also nicht der Meinung, dass sich diesbezüglich erst kürzlich etwas verändert haben soll. Allerdings bin ich nichtsdestotrotz sehr dankbar und froh, dass wir in unseren Reihen großartige Kollegen und Abgeordnete haben, die sich auf nationaler Ebene täglich für Menschen mit Behinderungen einsetzen und selbstverständlich ist der Austausch mit diesen Kollegen für mich sehr wertvoll und findet regelmäßig statt.
Wir fordern bereits seit etlichen Jahren die Einrichtung eines Inklusionsfonds, welcher mit 500 Millionen Euro jährlich dotiert sein sollte. Man muss bereit sein Zeit und Geld zu investieren, damit man die Herausforderungen, die Menschen mit Behinderung täglich erleben, langfristig und zielführend meistern kann. Wenn man immer nur leere Versprechungen macht, dann aber nicht bereit ist, sie auch umzusetzen, ist niemandem geholfen. Deshalb ist und bleibt ein Inklusionsfonds, der vor allem für die persönliche Assistenz verwendet werden sollte, in unseren Augen die wichtigste zu treffende Maßnahme.
Harald Vilimsky, MdEP
Kritiker bemängeln, dass die FPÖ auf nationaler Ebene konkrete Inklusionsmaßnahmen fordert, im EU-Parlament aber eher zurückhaltend agiert. Wie begegnen Sie dem?
Vilimsky: Gesundheits- und Sozialpolitik fallen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und gehören nicht zum Kompetenzbereich der Europäischen Union. Aus diesem Grund wollen wir, dass derartige Themen auf nationaler Ebene und nicht auf europäischer Ebene geregelt werden.
Sie haben einmal gesagt, dass Menschen mit Behinderungen eine „vollwertige Teilnahme“ am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden müsse. Welche konkreten Maßnahmen würden Sie auf EU-Ebene befürworten, um dieses Ziel zu erreichen?
Vilimsky: Die EU sollte die Mitgliedstaaten dabei unterstützen, die bestmögliche Versorgung und Betreuung für Menschen mit Behinderungen auf nationaler Ebene sicherzustellen. Am effektivsten gelingt das, wenn sie sich möglichst wenig in nationale Entscheidungsprozesse einmischt und stattdessen freiwillige und unterstützende Formen der Zusammenarbeit ermöglicht.
Accessibility Act, Europäischer Behindertenausweis und Fluggastrechte
Der European Accessibility Act legt europaweite Standards für Barrierefreiheit fest. Die FPÖ hat diesen auf nationaler Ebene unterstützt – warum dann die Skepsis gegenüber umfassenderen EU-Standards?
Vilimsky: Gesundheits- und Sozialpolitik fallen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und gehören nicht zum Kompetenzbereich der Europäischen Union. Aus diesem Grund wollen wir, dass derartige Themen auf nationaler Ebene und nicht auf europäischer Ebene geregelt werden.
Sie haben den Europäischen Behindertenausweis ausdrücklich begrüßt. Sehen Sie darin ein Beispiel dafür, dass gemeinsame europäische Lösungen Menschen mit Behinderungen gezielt helfen können?
Vilimsky: Selbstverständlich ist Zusammenarbeit in einigen Bereichen sinnvoll und begrüßenswert. Gerade wenn es um Bereiche geht wie kulturelle Einrichtungen etc. ist eine Abstimmung auf europäischer Ebene zielführend. Das war auch mit ein Grund, weshalb wir dem Europäischen Behindertenausweis grundsätzlich positiv gegenüberstehen. Es muss jedoch auch an dieser Stelle noch einmal betont werden, dass die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips unerlässlich ist.
Viele Menschen mit Behinderungen berichten von Problemen bei Reisen – etwa bei der Flugunterstützung oder im öffentlichen Verkehr. Wie könnte die EU hier für Verbesserungen sorgen?
Vilimsky: Die Personenverkehrsfreiheit, eine der Grundfreiheiten der Europäischen Union, muss selbstverständlich auch für Menschen mit Behinderung gewährleistet werden. Für derartige Anliegen ist ein Projekt wie der Europäische Behindertenausweis ein gutes Instrument, um Menschen mit Behinderung in einigen Bereichen des öffentlichen Lebens zu entlasten. Meiner Meinung nach müsste man aber auch hier die nationalen Regierungen in die Verantwortung nehmen, barrierefreie Möglichkeiten zu schaffen. Vereinheitlichte Standards für die gesamte Europäische Union könnten nämlich dazu führen, dass die Standards insgesamt schlechter werden, anstatt besser, wenn alle Mitgliedstaaten auf ein gleiches Niveau gebracht werden müssen.
Beschäftigungspflicht
Sie haben kritisiert, dass öffentliche Stellen in Österreich ihrer Beschäftigungspflicht gegenüber Menschen mit Behinderungen nicht nachkommen. Nun hat der Report den EU-Behörden und Institutionen dasselbe schlechte Zeugnis ausgestellt. Sollte es hier auf EU-Ebene schärfere Vorgaben geben?
Vilimsky: Ich bin der Meinung, dass die in Österreich geltende Beschäftigungspflicht ein sehr wichtiges Modell ist – allerdings mangelt es an der effektiven Umsetzung. Dasselbe Problem zeigt sich nun auch auf EU-Ebene. Aus unserer Sicht braucht es keine neuen Vorgaben aus Brüssel, sondern eine bessere Kontrolle und Umsetzung bestehender Regeln. Das gilt sowohl auf nationaler Ebene als auch auf etwaiger europäischer Ebene.
Wäre eine europaweite Quote für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen in Unternehmen eine sinnvolle Maßnahme aus Ihrer Sicht?
Vilimsky: Grundsätzlich wäre es natürlich begrüßenswert, dass so viele Unternehmen wie möglich Menschen mit Behinderungen einstellen. Allerdings sind wir gleichzeitig Befürworter davon, die Bürokratielast für Unternehmen so gering wie möglich zu halten. Nachdem es in Österreich bereits bestehende Regelungen hierzu gibt, braucht es meiner Meinung nach nicht noch weitere Vorgaben aus Brüssel. Viel sinnvoller wäre es, die bestehenden Regeln in Österreich effektiv durchzusetzen anstatt immer neue Regeln zu schaffen, die am Ende des Tages niemand ausreichend kontrolliert.
Gewaltschutz
Menschen mit Behinderungen sind besonders häufig von physischer und psychischer Gewalt betroffen. Im aktuellen österreichischen Regierungsprogramm finden sich Bekenntnisse dazu, diese Problematik endlich anzugehen, jedoch ohne Maßnahmen zu nennen. Die EU arbeitet derzeit an einer neuen Gewaltschutzrichtlinie. Unterstützen Sie diese Initiative?
Vilimsky: Das Problem an Richtlinien dieser Art ist leider sehr häufig, dass damit Kompetenzen der Mitgliedstaaten auf die EU übertragen werden sollen – solche Vorhaben unterstütze ich prinzipiell nie. Außerdem werden oft überschießende ideologische Aspekte miteinbezogen, die meiner Ansicht nach nichts in einer solchen Richtlinie verloren haben. Das ändert aber selbstverständlich nichts daran, dass Gewaltschutz für Menschen mit Behinderung ein äußerst wichtiges Thema ist und unbedingt prioritär behandelt werden muss – aber auch hier sollte dies wiederum primär auf nationaler Ebene geschehen.
Sollte der Gewaltschutz für Menschen mit Behinderungen als eigenständiges Thema behandelt werden?
Harald Vilimsky, MdEP
Auf jeden Fall sollte dies auf nationaler Ebene als eigenständiges Thema prioritär behandelt werden. Erst vor wenigen Wochen wurde genau zu diesem Thema von unserem Abgeordneten zum Nationalrat, Christian Ragger, ein Entschließungsantrag eingebracht.
Insbesondere Frauen mit Behinderungen sind vergleichsweise häufig von Gewalt betroffen. Gravierend schlägt die Statistik in Heimen oder anderen Institutionen aus. Was fordert die FPÖ an Maßnahmen dagegen und wie können Sie das Problem auf EU-Ebene angehen?
Vilimsky: Man muss Abhängigkeitsverhältnisse von Menschen mit Behinderung dringend aufbrechen. Es wäre in diesem Zusammenhang von großem Vorteil, wenn Hilfsmittel und Assistenzmöglichkeiten bereitgestellt werden würden, damit vermehrt in den eigenen vier Wänden gelebt werden kann. Wie sie nämlich in Ihrer Fragestellung bereits richtigerweise anführen, geht vor allem von Heimen eine große Gefahr für Menschen mit Behinderung aus. Deshalb ist unserer Meinung nach auch die Aufstockung der Mittel für die Volksanwaltschaft in Österreich sehr wichtig, da diese immer wieder Missbrauchsfälle und Ausnutzung feststellt. Für uns ist aber auch dies wieder klar eine Thema, welches aufgrund des Subsidiaritätsprinzips auf nationaler Ebne geregelt werden muss.
Gleichbehandlungsrichtlinie
Sie haben früher die EU-Gleichbehandlungsrichtlinie wegen „überschießender“ Inhalte abgelehnt – darunter etwa der Schutz von LGBTQ+-Personen. Wenn es um die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen geht, würden Sie hier eine getrennte Regelung bevorzugen und wären Sie bereit, sich für eine solche stark zu machen, nachdem die ursprüngliche Gleichbehandlungsrichtlinie vom Tisch ist?
Vilimsky: Es kommt auch hier wieder darauf an, inwiefern in nationalstaatliche Kompetenzen eingegriffen wird, die Souveränität der Mitgliedstaaten gewahrt bleibt und welche anderen ideologischen Inhalte diesen Richtlinien beigefügt werden. Solange das Subsidiaritätsprinzip eingehalten wird – was im Bereich der Gesundheits- und Sozialpolitik von Seiten der EU leider selten passiert – unterstützen wir selbstverständlich eine Gleichbehandlungsrichtlinie für Menschen mit Behinderung.
Worin sehen Sie die Vorteile und worin die Nachteile, wenn EU-weit einheitliche Regelungen gelten würden, um Menschen mit Behinderungen in allen Mitgliedstaaten gleiche Rechte zu garantieren?
Wie bereits erwähnt, gibt es durchaus Bereiche wo Abstimmungen auf europäischer Ebene sinnvoll und zielführend sind – beispielsweise der Europäische Behindertenausweis oder das Programm „AccessibleEU“, bei welchem Experten und Fachleute zusammengebracht werden. Es muss aber auch hier wiederum betont werden, dass Gesundheits- und Sozialpolitik Angelegenheiten der Mitgliedstaaten sind und sich die EU nicht in diese Bereiche einmischen sollte – vor allem vor dem Hintergrund, dass einheitliche Standards zu einer Verschlechterung in jenen Ländern führen könnten, die sich bereits selbständig hohen Standards verpflichtet haben.
Rolle der FPÖ und persönliche Haltung
Die FPÖ war lange Zeit nicht in der Disability Intergroup vertreten. Warum hat sich die Partei jetzt entschieden, aktiver in der EU-Behindertenpolitik mitzuwirken?
Vilimsky: Es gibt sehr viele verschiedene Intergroups im Europäischen Parlament und wir waren in der vergangenen Arbeitsperiode nur halb so viele Abgeordnete wie jetzt. Deshalb haben wir versucht, unsere Ressourcen aufzuteilen und uns in verschiedenen Themenbereichen verstärkt mit unseren Kollegen in Österreich abzusprechen. Ich bin allerdings sehr erfreut darüber, dass wir nun mehr zeitliche und personelle Ressourcen zur Verfügung haben, um auch in dieser Gruppe mitwirken zu können.
Hat sich Ihre persönliche Haltung zur Behindertenpolitik im Laufe Ihrer Amtszeit im EU-Parlament verändert? Wenn ja, inwiefern?
Als Politiker hat man das große Privileg, dass man viel unterwegs ist und somit direkt von den Menschen selbst erfahren darf, wo der Schuh drückt. Deshalb verändert sich selbstverständlich mit den Jahren und den verschiedensten Gesprächen mit Menschen mit Behinderung die Sichtweise auf einige Dinge. …
Ich sehe das aber als etwas immens Wichtiges und Positives an, denn nur so kann man auch versuchen, sich bestmöglich für ihre Anliegen einzusetzen. Gerade für jemanden, der nicht selbst betroffen ist, ist der Austausch mit Betroffenen umso wichtiger.
Manche Kritiker werfen der FPÖ vor, das Thema Behindertenpolitik strategisch zu nutzen, um das soziale Profil der Partei zu stärken. Wie begegnen Sie diesen Vorwürfen?
Vilimsky: Keinesfalls. Die FPÖ hat über viele Jahre hinweg eines der höchsten Ämter dieser Republik – nämlich den dritten Nationalratspräsidenten – mit Norbert Hofer, einem großartigen und kompetenten Menschen, besetzt, der selbst mit am besten weiß, mit welchen Herausforderungen Menschen mit Behinderung zu kämpfen haben. Das hat nichts mit Strategie zu tun, sondern sollte vielmehr zeigen, dass es für uns wichtig und selbstverständlich ist, dass wir Menschen mit Behinderung gleichwertig behandeln und damit auch anderen Menschen zeigen wollen, dass eine Behinderung kein Hindernis dafür sein sollte, berufliche und private Erfolge zu erzielen.
Wenn wir in fünf Jahren wieder miteinander sprechen – woran würden Sie messen, dass Ihre Arbeit für Menschen mit Behinderungen erfolgreich war?
Vilimsky: Wenn wir in fünf Jahren zurückblicken, möchte ich sagen können, dass ich konkret dazu beigetragen habe, die Situation von Menschen mit Behinderungen zu verbessern – durch die Unterstützung engagierter Menschen und den Einsatz für funktionierende, praxisnahe Lösungen. Ein Erfolg wäre für mich auch, wenn die politische Zuständigkeit in diesem sensiblen Bereich klar in Österreich geblieben ist. Denn nur so lassen sich Maßnahmen umsetzen, die wirklich wirken.
Am wichtigsten ist aber, dass es Menschen mit Behinderungen in fünf Jahren spürbar besser geht – weil wir in Österreich unseren hohen Standard halten und ausbauen konnten, statt eine Nivellierung nach unten auf EU-Ebene zu erleben.