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Disability Intergroup: Lukas Mandl

Aus Österreich haben sich drei Mitglieder des Europäischen Parlaments der Disability Intergroup angeschlossen. Der KOBV Österreich hat sie zu Ihrer Behindertenpolitik in der EU interviewt.

Das Interview führte Mag.a Viktoria Antrey am 3. März in den Räumlichkeiten des KOBV – Der Behindertenverband Wien, NÖ, Bgld.

Zwei Frauen und ein Mann stehen vor dem KOBV-Rollup.
Dr.in Regina Baumgartl (KOBV Österreich Generalsekretärin), Mag.a Viktoria Antrey (KOBV Öffentlichkeitsarbeit), Mag. Lukas Mandl (Mitglied des EU-Parlaments, ÖVP). (c) Günter Bitschnau

Das Disability Forum ist auf freiwilliger Basis für Abgeordnete. Woher kommt die persönliche Motivation, sich einzubringen?

Lukas Mandl:
Die Disability Intergroup ist eine sogenannte Intergruppe des Europäischen Parlaments. Das bedeutet, dass sich jenseits von Mitgliedstaaten, Ausschüssen und Fraktionen quer durch den sprichwörtlichen Gemüsegarten Abgeordnete involvieren. Diese Intergruppe ist eine der ältesten des gesamten Europäischen Parlaments, fast so alt wie das Europäische Parlament selber. Und die Motivation ist ganz klar: Besonders im Europäischen Parlament ist die Vielfalt an Themen, die Vielfalt an Agendapunkten so groß, dass man täglich Prioritäten setzen muss. Und ich versuche, Prioritäten zu setzen für etwas, das aus meiner Sicht nachhaltig sinnvoll ist. Und das ist die Zusammenarbeit mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen – ganz klar.

Welche konkreten Ziele oder Bereiche sind es, die Sie besonders besetzen oder einbringen möchten? Ich frage das auch hinsichtlich dessen, weil Österreich vom EDF, vom European Disability Forum, in manchen Punkten ein wenig als Vorzeigeland kommuniziert wird. Jüngst zum Beispiel die Sache mit den Assistenzhunden im Flugreiseverkehr: In diesem Papier vom EDF wurde darauf hingewiesen, dass Österreich brauchbare Standards in Ausbildung und Anerkennung von Assistenzhunden hat. Die Austrian Airlines hat handhabbare Richtlinien, was das Mitführen von Assistenzhunden betrifft. Und das ist eben nicht bei allen europäischen Fluglinien der Fall. Das heißt, wenn Österreich offensichtlich eine gewisse Vorreiterrolle hat, wie können wir das besetzen?

Zwei Männer und zwei Frauen sitzen mit Laptop, Getränken, Kuchen und Unterlagen an einem Tisch in einem Büro.

Lukas Mandl:
Also es mag sein, dass Österreich in manchen Bereichen eine Vorreiterrolle hat. Ich glaube nur immer: Wer aufhört, besser zu werden, hört auch auf, gut zu sein. Und man darf sich nicht auf Lorbeeren ausruhen. Das ist kein Grund dafür, sich weniger zu engagieren – vielmehr ein Grund, diese Verantwortung auch für ganz Europa wahrzunehmen und sich weiterhin zu engagieren.

Ich glaube, die Beispielfunktion Österreichs liegt auch an der guten zivilgesellschaftlichen Vertretung der Menschen mit besonderen Bedürfnissen – etwa durch den KOBV Behindertenverband. Und das ist auch mein erster Ansatz in der Intergroup: Dass sie ein Forum ist, in dem Zivilgesellschaft und behinderte Menschen gehört werden, Anliegen wahrgenommen und in den parlamentarischen Prozess aufgenommen werden. Das ist eine der wichtigen Funktionen der Intergroup. Da glaube ich, ist der Überbegriff für alle programmatischen Punkte unserer Zeit die Inklusion. Es muss uns gelingen, als Zivilisation des 21. Jahrhunderts, dass selbstverständlich Menschen mit besonderen Bedürfnissen gleichberechtigt mit all den Notwendigkeiten, die das mit sich bringt, an der Gesellschaft und an allen gesellschaftlichen Aspekten – Arbeitsleben und so weiter – teilnehmen können.

Und der Europäische Behindertenausweis soll dazu eine Erleichterung bieten, weil er europaweit den Status als behinderter Mensch festschreibt. Mit diesem Behindertenausweis können die notwendigen Voraussetzungen verbunden werden, um voll und ganz an der Gesellschaft teilzunehmen.

Das war auch gleich eine gute Überleitung zum nächsten Themenblock – zur Frage nach der Zusammenarbeit, der Vernetzung. Wie leben Sie den Grundsatz der Partizipation mit Verbänden, mit der Zivilgesellschaft? Da ist die Zivilgesellschaft, die Verbände auf der einen Seite, und dort sind verschiedene Fraktionen auf der anderen, und das Ganze muss in diesem Forum zusammenspielen.

Lukas Mandl:
Ganz klar: Mein Ansatz ist unbedingt, aus Betroffenen Beteiligte zu machen. Also: Alle sind betroffen von Gesetzgebung. Menschen mit besonderen Bedürfnissen sind von der einschlägigen Gesetzgebung besonders betroffen. Aber eine Demokratie muss es schaffen, dass Betroffene auch Beteiligte sind und voll involviert werden.

Sehr schön am europäischen Gesetzgebungsprozess – durchaus auch als gutes Vorbild für den heimischen – ist, dass Fraktionszugehörigkeiten in den allerwenigsten Sachfragen eine Rolle spielen. Dass wirklich konstruktive Kräfte aus fast allen Fraktionen zusammenarbeiten können.

Mag. Lukas Mandl, ÖVP

Sehr schön am europäischen Gesetzgebungsprozess – durchaus auch als gutes Vorbild für den heimischen – ist, dass Fraktionszugehörigkeiten in den allerwenigsten Sachfragen eine Rolle spielen. Dass wirklich konstruktive Kräfte aus fast allen Fraktionen zusammenarbeiten können. Und dass man durch diese Intergruppe auch auf Gleichgesinnte stößt, mit denen man zusammenarbeiten kann – die ebenfalls aus Betroffenen Beteiligte machen wollen. Das ist der Ansatz.

Es geht aber wirklich jeden Tag um Prioritätensetzung – in Krisenzeiten noch viel mehr. Das heißt, man muss oft Nein sagen zu einer Materie, um dort Ja sagen zu können, wo es wirklich dringend und wichtig ist. Und die Anliegen von Menschen mit besonderen Bedürfnissen sind ganz klar eine Materie, zu der man Ja sagen muss, für die man offensiv mit Priorität arbeiten muss.

Gibt es bestimmte Projekte gerade für die laufende oder aktuelle Legislaturperiode – was sind die konkreten Punkte, die man bearbeiten oder einbringen möchte?

Lukas Mandl:
Ich glaube, es geht um eine Querschnittsmaterie – von Bildungssystem bis Verkehrsinfrastruktur, von künstlicher Intelligenz bis zu Veränderungen in der Arbeitswelt, die nicht zulasten, sondern zugunsten behinderter Menschen ablaufen müssen. Aber nichts ist selbstverständlich.

Ich habe einen Freund, der in einem großen Betrieb gearbeitet hat und eine Behinderung entwickelt hat. Obwohl die Lippenbekenntnisse in diesem Betrieb groß waren, ihn weiterhin zu integrieren, war die Praxis sehr schwierig. Oder im Bildungssystem: Ich war in der Handelsakademie im Schulzentrum Ungargasse im dritten Bezirk – dort war es für mich ab dem 14. Lebensjahr selbstverständlich, täglich mit Menschen mit Behinderung die Klasse zu besuchen. Das hat, mehr als mir damals als Teenager bewusst war, eine Selbstverständlichkeit im Umgang geschaffen.

Es scheint sich etwas Grausames aus der Geschichte wieder Bahn zu brechen – ein unausgesprochenes „Recht des Stärkeren“. Diese Brutalität in Sprache und Machttechnik gibt mir sehr zu denken. Das trifft besonders Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Deshalb müssen wir respektvollen Umgang und Wertschätzung in allen Bereichen leben – auch, um den Raum der europäischen Zivilisation zu verteidigen und weiterzuentwickeln.

Dann möchte ich noch etwas sagen, was für unsere gesamte Gesellschaft wichtig ist: Es scheint sich etwas Grausames aus der Geschichte wieder Bahn zu brechen – ein unausgesprochenes „Recht des Stärkeren“. Diese Brutalität in Sprache und Machttechnik gibt mir sehr zu denken. Das trifft besonders Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Deshalb müssen wir respektvollen Umgang und Wertschätzung in allen Bereichen leben – auch, um den Raum der europäischen Zivilisation zu verteidigen und weiterzuentwickeln.

Auch auf EU-Ebene scheint die Zukunft aus unserer Sicht nicht sehr rosig: Es gibt keine:n Kommissar:in mehr für Menschen mit Behinderungen. Es hat großen Aufwand erfordert, die Aktualisierung der Disability Strategy durchzusetzen. Insgesamt wirkt es so, als ob dem Thema weniger Bedeutung und Budget eingeräumt würde. Sehen wir das falsch? Oder was ist da angedacht?

Im Parlament haben wir die Intergroup, viele Gleichgesinnte aus verschiedenen Mitgliedstaaten und Fraktionen. Wir können gemeinsam die Kommission in die richtige Richtung drängen.

Mag. Lukas Mandl, ÖVP

Lukas Mandl:
Ich glaube, Sie sehen es richtig: Es hat sich vielleicht noch nichts konkret verschlechtert, aber es gibt negative Anzeichen. Wichtig ist der Unterschied zwischen Europäischer Kommission und Parlament. Im Parlament haben wir die Intergroup, viele Gleichgesinnte aus verschiedenen Mitgliedstaaten und Fraktionen. Wir können gemeinsam die Kommission in die richtige Richtung drängen.

Ganz konkret: Ab 2025 verhandeln wir den mehrjährigen Finanzrahmen – das langfristige EU-Budget. Da geht es um Prioritätensetzung, gerade in Krisenzeiten. Etwa Initiativen wie Barrierefreiheit. Ich war kürzlich im Naturhistorischen Museum, wo man sich über die geplante Barrierefreiheit freut. Das ist ein Beispiel, das europaweit Schule machen muss – und das Budget muss es abbilden.

Ein guter Punkt. Es ist ja ein Dilemma: Behinderung ist eine Querschnittsmaterie – Infrastruktur, Sozialpolitik, Bildung, Gesundheit, Arbeitsmarkt. Dass das jetzt auf sieben Portfolios in der EU-Kommission aufgeteilt ist, wird vom EDF (European Disability Forum) stark kritisiert. Für Parlamentarier ist das schwer zu handhaben. War das Absicht? Wie stellt sich das in der Praxis dar?

Zwei Frauen und ein Mann stehen freundlich lächelnd vor dem KOBV Rollup.

Lukas Mandl:
Ehrlich gesagt habe ich durch meine Schwerpunkte – Sicherheit, Wirtschaft, Geopolitik – ohnehin täglich mit verschiedenen Kommissaren und Akteuren zu tun. Diese Vielfalt an Ansprechpartnern ist im Parlament tägliche Praxis.

Auch bei Anfragen: In Österreich richtet man sie an eine:n Minister:in. Im EU-Parlament richten wir sie immer an die Kommission als Ganzes. Die Kommission ist ein Kollegialorgan, das auch als solches angesprochen werden muss. Die Kommissionspräsidentin hat auch mehr Kompetenzen als z. B. ein österreichischer Regierungschef. Es gibt immer ein klares Gegenüber.

Bedeutet aber wahrscheinlich trotzdem, dass auch auf nationaler Ebene das Mainstreaming gestärkt werden muss?

Lukas Mandl:
Ganz klar. Das ist genau mit Prioritätensetzung gemeint. Mainstreaming ist das richtige Wort.

Eigentlich haben wir die nächste Frage zu persönlichen Erfahrungen schon beantwortet – mit Ihren Erlebnissen aus der Schule. Besten Dank für Ihren Besuch!

Lukas Mandl:
Spitze. Ich danke für das Interesse. Mein parlamentarisches Büro ist immer offen für Ideen, Anliegen, Kontaktaufnahmen – wie es der Behindertenverband ohnehin professionell macht, aber auch von jedem einzelnen Bürger und jeder einzelnen Bürgerin. Eine herzliche Einladung, in Kontakt zu bleiben. Jetzt lachen mich diese Mozarttaler schon an…

Der KOBV Österreich sowie der KOBV – Der Behindertenverband Wien, Niederösterreich, Burgenland danken für den persönlichen Besuch!